Warum Spielen so wertvoll für unsere Gehirnentwicklung ist

„Spielen ist Dünger für das Gehirn und Kraftfutter für die Seele.“ sagt Gehirnforscher Dr. Gerald Hüther.

Aus meiner beruflichen Erfahrung weiß ich, dass es sich oft als sehr schwierig gestaltet, wenn Eltern einen Termin für ihre Kinder in meiner Praxis ausmachen wollen, weil deren Terminkalender randvoll ist. Es heißt dann: “Da geht es nicht, da ist Flötenunterricht, da ist Judo, da ist Ballett, da ist Englisch-Frühförderung, …“ Es ist oft wirklich einfacher einen Termin mit einem vollbeschäftigten Erwachsenen zu vereinbaren.

Haben wir dann einen passenden Termin gefunden, kommt es häufig vor, dass so kleine übermüdete Kinder auf meinem Behandlungstisch liegen, bei denen das sympathische Nervensystem sehr hochgefahren ist. Sie genießen es dann, einfach mal nichts tun zu müssen und entspannen zu können. Doch wie kommt es dazu?

Wir leben in einer Welt, die sich sehr stark nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten richtet. Ökonomie drückt in das soziale Zusammenleben hinein und hat Einzug gehalten bis in die Schulen und auch in die Kindergärten.

Unser ganzes Leben ist dabei immer wirtschaftlicher zu werden, das heißt es muss alles möglichst effektiv sein, man muss möglichst schnell an sein Ziel kommen und möglichst gut funktionieren. Wir Erwachsene, aber auch schon unsere Kinder sind nur mehr auf der Überholspur (Metapher) unterwegs. Es ist scheinbar keine Zeit mehr dafür, auf langsameren Straßen zu fahren, um z.B. die Landschaft zu genießen, ein Städtchen zu erkunden, etwas zu erfahren/zu entdecken und durch einen kleinen Umweg auch an sein Ziel zu gelangen.

In diesem Denkschema hat Spielen keinen Platz – das bringt ja nichts. Dadurch opfern wir der Ökonomie unsere wichtigsten Schätze: Kreativität, Lernfähigkeit und Beziehungsfähigkeit.

Es geht los mit der Frühförderung. Durch diese intensiven Frühförderungen vormittags im Kindergarten, nachmittags mittels diverser Lernprogramme, ist das Kind von morgens bis abends beschäftigt.
Im Nu wird das Kind vom Subjekt zum Objekt. Eltern übernehmen die Lebensgestaltung ihrer Kinder – sie haben selbst kaum Entscheidungsfreiheit. Das Kind wird wie ein Objekt von hier nach da geschafft. Wieviel Raum bleibt da für spielerisches Ausprobieren? Das Kind hat keine Zeit mehr zum freien unbekümmerten Spielen. Keine Zeit zum Kind sein.

Bei diesem vollgepackten Alltag ist keine Zeit für Langeweile. Doch genau diese Langeweile ist eine sehr wichtige und sinnbringende Erfahrung für das Kind. Denn Langeweile ist eben langweilig, fad – ein Zustand, in dem das Kind nicht gerne ist. Daher wird es kreativ und es entstehen Ideen. So baut das Kind dann vielleicht eine Brücke aus Bauklötzen, die immer wieder einstürzt. Doch es wird eine Lösung finden, wie die Brücke stabil wird und es wird sich freuen und mit sich selbst zufrieden sein. Damit wird das Belohnungszentrum im Mittelhirn aktiviert und das Hormon Dopamin ausgeschüttet und Glücksgefühle entstehen. Zudem hat das Kind spielerisch gelernt eine Herausforderung (instabile Brücke) zu bewältigen und eine Lösungsmöglichkeit zu finden. Diese Kreativität entsteht nur im Spielen und es ermöglicht unseren Kindern im späteren Leben bei Herausforderungen resilienter (mehrere Herangehensweisen bzw. größere Widerstandskraft, um ein Problem zu bewältigen) zu handeln.

Kreativität kann nur durch spielerisches Ausprobieren entstehen. Die Vernetzungen im Gehirn werden dadurch gut stabilisiert und die angelegten Begabungen und Talente können zur Entfaltung kommen. Sobald wir aufhören zu spielen, hören wir auf das Leben in all seinen Möglichkeiten zu erkunden und es verkümmern Potenziale, die in uns stecken. Das Spiel dient zur Erkundung dieser Möglichkeiten.

Es ist mir ein großes Bedürfnis auf diese Thematik hinzuweisen, da auch ich bei der Erziehung meiner Kinder anfänglich in diese Falle getappt bin. Auch ich wollte meinen Kindern eine optimale Entwicklung/Ausbildung ermöglichen und sie auf das „vermeintliche“ Leben vorbereiten.

Abschließend möchte ich euch noch einen wertvollen Buchtipp mitgeben:
„Rettet das Spiel! Weil Leben mehr als Funktionieren ist.“ von Gerald Hüther und Christoph Quarch